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Warum gibt es nicht mehr Fotojournalistinnen?

Photojournalists Nanna Heitmann, Laura Morton and Catalina Martin-Chico in a triptych of portraits.
Die für Magnum nominierte Fotografin Nanna Heitmann (links) erhielt 2019 das Ian Parry Stipendium und wurde im Rahmen des PHmuseum Women Photographers Grant 2018 mit dem Vogue Italia Prize ausgezeichnet. Ihrer Meinung nach sind Förderungen, die Fotografinnen ermutigen und auszeichnen, wichtig für die Zukunft der Branche. Für Laura Morton (Mitte), Gewinnerin des Canon Female Photojournalist Award 2018, beschränkt sich das Diversity-Problem der Branche nicht nur auf die Geschlechterfrage, sondern ist noch viel weiter gefasst. Die 2017 mit dem Canon Female Photojournalist Award ausgezeichnete Catalina Martin-Chico (rechts) hat bereits Aufträge für französische Magazine wie GEO, ELLE und Le Monde sowie für die New York Times und Der Spiegel übernommen. © Laila Sieber/Aliona Kardash

Wie sehen Fotojournalisten aus? Mal abgesehen von allem anderen fast immer männlich. Einem Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford zufolge kamen von allen eingereichten Vorschlägen bei World Press Photo (2007–2018) lediglich 15 % von Frauen. Darüber hinaus verdienten diese Frauen weniger als ihre männlichen Kollegen, arbeiteten häufiger in Teilzeit und hatten geringere Aussichten auf eine Anstellung bei einer der großen Nachrichtenagenturen. Warum gibt es noch immer so viel mehr Männer als Frauen in der Nachrichtenfotografie? Die Gründe sind schwer zu fassen. Hier untersuchen wir, ob die Geschlechterdisparität auf Sexismus in der breiteren Gesellschaft zurückzuführen oder ein für diese Branche spezifisches Problem ist.

Zweifelsohne gibt es noch immer viele Hindernisse, die es zu überwinden gilt – doch es gibt Anzeichen für Besserung. Dies ist zum Teil Initiativen zu verdanken wie dem jährlich vergebenen Canon Female Photojournalist Award, bei dem talentierte Frauen der Branche ausgezeichnet werden, und dem Women Photograph, einem Online-Verzeichnis von weiblichen und nichtbinären Fotojournalisten, in dem Mentorings, Förderungen und Workshops angeboten werden.

Bei Visa pour l'Image 2019, dem internationalen Festival für Fotojournalismus im französischen Perpignan, haben wir mit einer Gruppe von Fotojournalistinnen und Fotoredakteurinnen über ihre Erfahrungen in einer von Männern dominierten Welt und ihre Ideen gesprochen, wie man die Branche in Zukunft offener gestalten könnte.

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„Sexismus gibt es in der gesamten Gesellschaft“

„Ein Redakteur hat mich einmal nach meiner familiären Situation gefragt und ob ich Kinder haben möchte. Ich bin mir sicher, dass einem Mann so eine Frage nie gestellt worden wäre“, erzählt Canon Botschafterin Ilvy Njiokiktjien.

Die Fotoredakteurin der Washington Post, Chloe Coleman, meint, dass es selbst bei der Arbeit in einer diversifizierten Belegschaft Herausforderungen gibt. „Ich habe großes Glück, dass ich bei der Washington Post arbeite, weil in unserer Redaktion sehr viele unterschiedliche Menschen arbeiten. Ich denke, dass man als junge Fotoredakteurin – ganz egal an welchem Ort – oft mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Aus denselben Gründen wie in jeder Branche. Wie kann ich die Leute dazu bringen, mir zuzuhören? Wie bringe ich Menschen dazu, offen für meine Ideen zu sein? Ich möchte, dass Menschen meine Stimme und meine Vision respektieren. Leider ist das für junge Frauen in vielen Branchen schlicht und ergreifend schwer.“

Canon Ambassador Ilvy Njiokiktjien.
Ilvy Njiokiktjien ist eine bekannte Fotojournalistin und wurde 2011 mit dem Canon Female Photojournalist Award ausgezeichnet. Doch trotz ihrer vielen Auszeichnungen wird sie noch immer anders behandelt als ihre männlichen Kollegen. „Ein Redakteur hat mich einmal gefragt, ob ich Kinder haben möchte. Ich bin mir sicher, dass einem Mann so eine Frage nie gestellt worden wäre“, erzählt sie. © Laila Sieber/Aliona Kardash
Photo editor Chloe Coleman.
Chloe Coleman, Fotoredakteurin bei der Washington Post, glaubt, dass Frauen in der Branche „mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wie junge Frauen in jeder anderen Branche auch.“ © Laila Sieber/Aliona Kardash

„Frauen mangelt es an Selbstvertrauen“

„Viele Frauen haben viel weniger Selbstvertrauen. Meiner Meinung nach beginnt das schon in der Schule“, meint die Magnum-Nominierte Nanna Heitmann, und dachte dabei an einen männlichen Studenten in ihrer Klasse, der 2.500 US-Dollar pro Tag für Werbeaufnahmen verlangte. „Er hat den Auftrag nicht bekommen“, erzählt sie, kann aber nicht umhin, diesen Ansatz mit dem einer Fotografin zu vergleichen, die „so oft einfach den ersten Betrag annimmt, den man ihr bietet, weil sie befürchtet, sie könnte abgelehnt werden, wenn sie mehr verlangt.“

„Zwischen Geschichten, die von Frauen oder Männern erzählt werden, gibt es keinen Unterschied“

„Die Leute denken, dass sie eine einfühlsamere Geschichte erhalten, wenn sie eine Journalistin damit beauftragen“, so Njiokiktjien. „Das finde ich nicht. Die meisten meiner Mentoren sind Männer, und sie sind die einfühlsamsten Fotografen, die ich kenne.“

„Eine Frau zu sein, hat Vorteile“

„Vielleicht hilft es, eine Frau zu sein, weil die Leute einen nicht ernst nehmen und weniger Angst haben“, meint Heitmann. „Manchmal gehe ich mit meiner kleinen Kamera herum, und die Leute haben keine Ahnung, dass ich Journalistin bin. Und dann hilft es natürlich, wenn man die Geschichten von Frauen dokumentiert, besonders in muslimisch geprägten Ländern.“ Njiokiktjien pflichtet bei: „Ich habe Aufnahmen in einem Frauenkrankenhaus in Afghanistan gemacht – für einen männlichen Fotografen wäre das unmöglich gewesen.“

Laura Morton and Catalina Martin-Chico look on as Ilvy Njiokiktjien speaks at a panel on stage at the Visa pour l'Image festival.

Fotojournalistinnen diskutieren: Was hält Frauen fern?

Beim Festival für Fotojournalismus Visa pour l'Image diskutieren drei Gewinnerinnen des Canon Female Photojournalist Award über die Hürden, die Frauen überwinden müssen.

„Förderungen für Frauen sind nützlich“

Spezielle Zuschüsse sind eine Möglichkeit, mehr Frauen für diese Branche zu begeistern, beispielsweise der Canon Female Photojournalist Award bei Visa pour l'Image, der 2020 sein 20-jähriges Jubiläum feiert.

„Förderungen für Frauen sind sehr nützlich“, sagt Fotojournalistin Camilla Ferrari. „Frauen bewerben sich nicht so oft [für offene Wettbewerbe]. Förderungen für Frauen machen Fotografinnen Mut, und das ist gut so.“ Sie fügt jedoch hinzu, dass Vorsicht angebracht ist: Positive Diskriminierung, die sich „gezwungen“ anfühlt, gilt es zu vermeiden. „Ich möchte Anerkennung, weil ich meine Arbeit gut mache, und nicht, weil ich eine Frau bin. Das ist noch schlimmer als überhaupt keine Anerkennung.“

Heitmann sieht das anders: „So viele Menschen sind gegen Quoten. Aber vielleicht sind sie in der Anfangszeit nötig, um den Wandel in der Branche anzustoßen, und danach kommt der Wandel ganz von allein.“

„Letztendlich“, so Coleman, „sollte das Ziel darin bestehen, dass Förderungen nicht mehr nötig sind. Dann können sich Männer und Frauen und Menschen aller Gesellschaftsschichten und Hautfarben für die gleichen Förderungen bewerben und überall auf Augenhöhe miteinander wetteifern.“

„Wir alle haben unbewusste Vorurteile“

„Ich glaube nicht, dass der Großteil der Diskriminierungen, denen ich als Frau ausgesetzt war, tatsächlich so gemeint war“, sagt Laura Morton, Gewinnerin des Canon Female Photojournalist Award 2018. „Ich denke, es war unbewusst. Und jetzt, da so viel darüber geredet wird, achten die Menschen vielleicht mehr auf ihre Entscheidungen und wen sie einstellen – und vielleicht denken sie auch vermehrt darüber nach, welche unbewussten Vorurteile sie haben und wie sie sich überwinden lassen.

Mein erster Job war ein Praktikum bei der Seattle Times“, erzählt Morton weiter. „Während unseres Orientierungsrundgangs haben sie uns einen Zettel gegeben, auf dem dargestellt war, welchen ethnischen Gruppen die Stadtbewohner angehörten. Sie sagten uns: „Wenn Sie über Ereignisse in der Stadt berichten und das hier nicht in Ihren Fotos widerspiegeln, müssen Sie sich über Ihre Vorurteile Gedanken machen und sie korrigieren.“ Das fand ich wirklich interessant.“

Photojournalist Camilla Ferrari.
Camilla Ferrari, italienische Fotojournalistin und ehemalige Teilnehmerin des Visa pour l'Image Canon Student Programme, wünscht sich, dass die Arbeit von Männern und Frauen gleich bewertet wird. „Ich möchte Anerkennung, weil ich meine Arbeit gut mache, und nicht, weil ich eine Frau bin. Das ist noch schlimmer als überhaupt keine Anerkennung.“ © Laila Sieber/Aliona Kardash
Director of Photography Magdalena Herrera.
Magdalena Herrera, Director of Photography für Geo France, hat im Laufe ihrer Karriere miterlebt, wie sich die Branche weiter geöffnet hat. „Früher waren die meisten Fotojournalisten Männer, und zwar westliche Männer. Jetzt gibt es sehr viel mehr Vielfalt“, meint sie. © Laila Sieber/Aliona Kardash

„Der Fotojournalismus braucht neue Stimmen“

„Ich glaube, es gibt nicht genügend Bemühungen, Neulingen eine Chance zu geben, anstatt immer nur die einzusetzen, die man schon kennt“, so Coleman. „Sie sind da draußen, es gibt sie. Die Frage ist nur, wie wir diesen Stimmen Gehör verschaffen. Wie schaffen wir es, dass ihre Namen bald in aller Munde sind?“ Hier geht es sowohl um die Urteile der Redakteure als auch die einzelnen Fotografen, an die sie Aufträge vergeben, betont sie. „Für den einen Redakteur mag ein Bild nicht stereotyp oder abwertend sein, aber für einen anderen mit einem anderen Hintergrund und anderen Erfahrungen kann es das doch sein. Man braucht diese unterschiedlichen Stimmen bei den Redakteuren genauso wie bei den Fotografen.“

„Veränderung braucht Zeit“

„Früher waren die meisten Fotojournalisten Männer, und zwar westliche Männer“, sagt Magdalena Herrera, Director of Photography für GEO France und Mentorin des Canon Student Programme 2019. „Jetzt gibt es sehr viel mehr Vielfalt – Fotografie hat sich mittlerweile in Regionen wie Südasien, Lateinamerika oder Afrika weiterentwickelt... Dort gibt es jetzt lokale Fotografen, und Magazine buchen sie aus allen möglichen Gründen, einige davon wirtschaftlicher Natur, aber auch wegen der anderen Sicht auf die Dinge. Hinsichtlich der Gesellschaftsschicht ist es immer noch so, dass man eher Fotojournalist wird, wenn man der Ober- oder Mittelschicht angehört. Das ist nicht ganz so extrem im Westen, aber in der restlichen Welt durchaus. In Lateinamerika wird man nicht Fotograf, wenn man nicht aus einer reichen Familie stammt. Eine arme Familie gibt Geld für einen Beruf aus, der einem auf der sozialen Leiter nach oben verhilft. Das ändert sich zwar, aber nur langsam.“

„Die Geschlechterfrage ist nur ein kleiner Teil eines größeren Problems, das wir mit Vielfalt haben“

„Aus finanzieller Sicht kann man in diesem Beruf nur schwer Fuß fassen, das ist ein großes Problem“, sagt Morton. „10 Jahre lang habe ich bei gesellschaftlichen Anlässen fotografiert, um meine Rechnungen zu bezahlen, und nebenbei meine Karriere aufgebaut. Meine Eltern können mich nicht immer unterstützen, aber ich weiß, dass ich auf sie zählen kann, wenn etwas wirklich Schlimmes passiert. Wir brauchen mehr Menschen mit unterschiedlichen sozioökonomischem und ethnischem Hintergrund in dieser Branche. Das ist wirklich wichtig. Es geht darum, wie die Welt die Welt sieht.“

Verfasst von Rachel Segal Hamilton


Die Porträts in diesem Artikel wurden von Laila Sieber und Aliona Kardash unter Anleitung des Canon Botschafters Daniel Etter im Rahmen des Canon Student Content Creation Programme bei Visa pour l'Image 2019 in Perpignan, Frankreich, aufgenommen.

„In dieser Fotoserie haben wir uns mit dem Thema der Sichtbarkeit und Repräsentation von Frauen in der Branche befasst. Da die Visa pour l'Image und auch Perpignan selbst eine große Rolle in der Debatte rund um die Repräsentation von Frauen spielen (und weil Fotografinnen dort immer noch in der Unterzahl sind), war es uns wichtig, natürliches Licht zu verwenden und Orte in der Stadt im Hintergrund zu haben“, erzählen Sieber und Kardash.

„Für die Porträts wollten wir mit einem visuellen Instrument arbeiten, das einerseits die Aufmerksamkeit auf die Protagonisten lenkt, andererseits die Porträts der Fotografinnen verbindet, die allesamt mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Wir haben uns entscheiden, mit einem kleinen Taschenspiegel zu arbeiten. So konnten wir den Fokus auf sanfte Weise auf den Blick der Frauen lenken und gleichzeitig eine visuelle Geschichte entstehen lassen.“

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