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Frauen in der Fotografie: Felicity McCabe stellt sich ihren Ängsten und schafft Erinnerungen
„Wenn ich Leute fotografiere, behandle ich sie wie ein Stillleben“, erklärt Felicity McCabe. „Die eine Hälfte meiner Arbeiten sind Stillleben, die andere Porträts. Für mich haben diese beiden Fotografiestile jedoch ähnliche Ursprünge.“ So legt sie in ihrem Atelier in Bow Arts im Osten Londons und an anderen Orten auf der ganzen Welt den Schleier eines Stilllebens über das Alltägliche und Außergewöhnliche, um zauberhaft bunte, grafische Bilder zu schaffen.
Zeit, Erinnerungen und die Faszination des Todes kristallisierten sich als Hauptthemen den Arbeiten der Künstlerin heraus, die ihr Aufträge von verschiedenen Organisationen einbrachten, darunter vom Natural History Museum und von Save the Children. Die sorgfältige Komposition der Bilder ist eines der Markenzeichen ihres Werks, das eine Neigung zeigt, Dinge aus dem Kontext zu reißen. „Die Wirklichkeit? Die sehen wir jeden Tag“, so McCabe. „Ich interessiere mich für die Dinge, die etwas abseits der Realität liegen.“
Frühe Einflüsse
McCabes Interesse an der Fotografie begann zu ihrer Teenagerzeit in der Clubszene. „Mir wurde erst vor Kurzen klar, dass die Beleuchtung in diesen Clubs sehr spannend ist. Dort findet man Farben und Drama, Schatten und dunkle Bereiche, aber auch sehr helle Bereiche. Ich glaube, all das bildet die Grundlage meiner Arbeiten. Ich mag es, wenn es leuchtet.“
McCabe arbeitet nun seit fünf Jahren selbstständig, nachdem ihr das Handwerk ein Jahrzehnt lang von den Besten der Branche beigebracht wurde. In ihrer Arbeit beweist sie Liebe zum Detail und das auf einem ähnlichen Niveau wie Nadav Kander, David Stewart und Robin Broadbent, denen sie unter anderem assistiert hat. „Ich bin wahrscheinlich eine der klassischen Assistentinnen, die wirklich lange assistiert haben.“
„Man wird jede Woche mit unterschiedlichen Erfahrungen konfrontiert, und jeder macht die Dinge ein klein bisschen anders“, sagt sie. „Ich habe gelernt, dass Fotografie Zusammenarbeit bedeutet. Man muss zuhören. Es ist interessant, auf jeden im Raum zu achten. In allem, was andere Menschen sagen, steckt ein gewisser Wert. Es kann vorkommen, dass ich nicht mit der Vorstellung einer Person einverstanden bin. In ihr steckt jedoch ein Faden, den ich greifen und nutzen kann, um meine eigene Vorstellung zu stärken. Die Arbeit als Assistentin hat mich gelehrt, nicht arrogant zu sein. Wenn du den Leuten das Leben schwer machst, werden sie dich sicher nicht noch einmal buchen.“
In vielen meiner Arbeiten geht es um Erinnerungen – mein Haus ist voll mit Bildern von toten Dingen.
Auf der Suche nach dem eigenen Stil
Nachdem sie fünf Jahre lang mit Kander zusammengearbeitet hatte, wagte sie den Absprung. „Ich musste herausfinden, wie mein eigener Stil aussieht. Ich wollte ein wenig herumprobieren und schauen, was mit gefällt“, erklärt sie. Bei der Arbeit an verschiedenen Projekten rund um das Wesen von Zeit und Erinnerung, die 2012 mit The Arrow begannen, kristallisierten sich Stillleben als eine ihrer Leidenschaften heraus. „Ich war völlig versessen auf den Pfeil der Zeit – die Idee, dass die Zeit voranschreitet und man selbst keine Kontrolle darüber hat“, sagt sie. „Das hat mir immer ein wenig Angst gemacht.
Vor ein paar Jahren sagte jemand zu mir: ‚Sie haben wirklich große Angst vor dem Tod, nicht wahr?‘ Und da wurde mir klar, dass das stimmte. In vielen meiner Arbeiten geht es um Erinnerungen und den Versuch, an Dingen festzuhalten. Darum dreht sich bei mir alles. Mein Haus ist voll mit Bildern von toten Dingen.“
Dieses Thema spiegelt sich in ihren beiden Serien Relic und Remain[s] wider. Im Jahr 2016 fielen ihre Werke dem National History Museum ins Auge, woraufhin sie gebeten wurde, eine Serie von Bildern für die Sommerausstellung Colour and Vision des Museums zu kreieren.
Ein Jahr zuvor stellte sie sich im Rahmen eines Auftrags für Save the Children in Somalia der grausamen Realität eines Lebens ohne Zugang zu Trinkwasser und brachte ihren unverkennbaren Stil in das Projekt ein. Statt eines dokumentarischen Ansatzes entschied sie sich für Blitzlicht-Sets und mehrere Kameras, darunter auch die Canon EOS 5D Mark III, um in ihrer Serie von Diptychen einen studioartigen Effekt zu erreichen.
„Überall war ich mit dieser skurrilen Ausrüstung unterwegs. Die Somali müssen sich gedacht haben: ‚Wer ist diese verrückte Frau?‘“, sagt sie. „Einige der Frauen dort waren drei Tage lang mit ihren Kindern auf dem Arm zu Fuß gegangen, um einen Tropfen Wasser zu finden. Für uns war es einfach unvorstellbar, wie man so leben kann. Ich wollte zeigen, dass es aber genau in diesem Augenblick geschieht, und zwar Menschen wie Dir und mir.“
Erinnerungen schaffen
McCabe möchte mit ihrer Kamera Situationen einfangen und Dinge festhalten. Die Ursache dafür ist möglicherweise eine skurrile Tatsache aus ihrer Kindheit. Es gibt keine Familienfotos, auf denen sie als Neugeborenes zu sehen ist. Sie hat daher keinen Zugang zu den Anfängen ihres Lebens – sie sind völlig unsichtbar. „Es gibt keine Erinnerungen“, sagt sie. „Es ist, als ob ich nie existiert hätte. Alles was uns geblieben ist, ist das kleine Band, das ich am Handgelenk trug.“
„Bei Relic geht es darum, Dinge zu bewahren, die einen emotionalen Wert haben. Oft sind sie völlig banal. Wie halten wir an Dingen, wie an unseren Gedanken und Gefühlen fest? Ich habe eine gewaltige Angst zu vergessen. Diese Bilder helfen mir dabei, mich zu erinnern.“
Dieser Wunsch, die Dinge zu fixieren, dauerhaft zu machen und jeden kleinsten Hauch von Zweifel zu beseitigen, spiegelt sich auch in McCabes neuestem Projekt Archive wieder. In Zusammenarbeit mit Getty Images untersucht diese Serie erneut die Veränderlichkeit von Erinnerungen. „Wenn man sich erinnert, erinnert man sich tatsächlich nur an die Erinnerung. Sie ist wie eine Reproduktion“, betont sie. „Jedes Mal erstellen wir eine Kopie der Kopie, die sich ein kleines bisschen verändert. Ähnlich wie bei ‚Stille Post‘ – es entsteht etwas Neues. Unsere Erinnerungen sind also fehlerhaft.“
Archive nutzt Bilder aus der Sammlung von Getty Images, etwa aus dem alten britischen Fotomagazin Picture Post. McCabe macht sie sich zu eigen und erfindet sie als separate Erinnerung oder als Element eines Moments neu. „Ich destilliere die Informationen, sodass sie den Raum oder ein Detail neu erschaffen“, erklärt McCabe. „Die Bilder sind ziemlich grafisch, etwas weniger fotografisch als meine bisherigen Arbeiten. Aber wer will schon immer das Gleiche tun?“
Für McCabe ist Fotografie ein symbolischer und praktischer Akt: „Ich habe eine Marke hinterlassen, damit ich eine Person, einen Augenblick oder eine Beziehung zu einem anderen Menschen nicht vergesse. Einige Personen haben Tätowierungen – wir alle haben unsere eigene Methode, an Dingen festzuhalten.“
Archive ist ab dem 7. September 2017 in der Great Eastern Wall Gallery, Great Eastern Street, London EC2A 3NT und online zu sehen.
Auf der Produktseite der Canon EOS 5D Mark III finden Sie weitere Informationen über die Kamera.
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